Baubeschluss: Asylbewerberheim Torgauer Straße (DS-00525/14)

Redebeitrag von Stadträtin Jessica Heller in der Ratsversammlung vom 25.02.2015

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, meine Damen & Herren,
ich muss mich doch wirklich sehr wundern.
Hier wird das Gebäude in der Torgauer Straße als „menschenunwürdige Massenunterkunft“
bezeichnet und dass obwohl Leipzig – im Gegensatz zu anderen deutschen Städten – die
ankommenden Asylsuchenden nicht in Turnhallen und Zeltstädten unterbringt.
Wir bringen sie in einem Gebäude unter, wie es zu DDR-Zeiten & auch heute noch von vielen
Leipzigern bewohnt wurde und wird.
Deren Aufschrei über die Menschenunwürdigkeit einer Massenunterkunft im 11-Geschosser und
das und das „Weggeschlossensein“ am Leipziger Stadtrand ist mir wohl entgangen.
Nicht entgangen ist mir allerdings ein Redebeitrag von Herrn Stadtrat Schlegel, den ich vor einiger
Zeit von der Besuchertribüne vernehmen durfte.
Darin wies er alle im Saal darauf hin, dass „Plattenbau“ ein verunglimpfender Begriff sei. Die
korrekte Bezeichnung sei „Gebäude in industrieller Bauweise“ und diese gehöre ebenso zur
deutschen Architekturgeschichte wie das Waldstraßenviertel aus der Gründerzeit.
Nun will ich mich aber nicht der „Massenunterkunft im Plattenbau“ – pardon, dem
„gemeinschaftlichen Wohnen in Gebäuden mit industrieller Bauweise“ widmen.
Mich stört viel mehr, wie bisher mit dem – zeitlich & menschlich – sehr dringlichen Thema
Asylbewerberheim Torgauer Straße umgegangen wurde.
Meine Damen und Herren Stadträte, wie konnte es dazu kommen, dass die meisten von Ihnen für
die Abbrechung der Ratsversammlung im Januar stimmten, obwohl der „Baubeschluss:
Asylbewerberheim“ nur noch 2 Tagesordnungspunkte entfernt war?
Wie können Sie, Herr Pellmann, im Änderungsantrag 2 davon reden, dass Beschlüsse des
Stadtrates unterwandert werden, wenn Sie selbst die Bearbeitung dieses Themas durch Ihren
Antrag auf frühzeitige Beendigung der Ratsversammlung unmöglich gemacht haben?
Und zwar mit den Worten, dass es in dem Augenblick wichtiger sei „hinaus zu gehen und neben
Ihren Wählern“ für die demokratische Grundordnung und eine gelebte Willkommenskultur
einzustehen.
Ich gebe Ihnen Recht, dass die Verteidigung unserer Demokratie und der in den letzten 100
Jahren so hart erkämpften und teuer bezahlten Werte Freiheit, Toleranz & Menschlichkeit die
Bürgerpflicht eines jeden von uns ist.
Aber da wo 10-Tausende für diese Werte demonstrieren, da ist jeder von uns 70 – mit seinem
kleinen Licht in der Hand – ein Bürger des weltoffenen & toleranten Leipzigs, das wir uns alle
wünschen.
Die 70 Stellen, auf denen wir stehen, würden nicht leer bleiben, wenn wir nicht unter den
Tausenden wären.
Unseren Platz würde unser Nebenmann / unsere Nebenfrau einnehmen, der vielleicht sogar mit
noch lauterer Stimme, mit einem noch bunterem Plakat, mit einer noch freundlicheren Geste die
Einladung in die Welt trägt, die für alle gilt, die friedlich und miteinander in Leipzig leben wollen.
Doch so wie es auf den Straßen und in den Häusern & Büros unserer Stadt unsere Bürgerpflicht
ist, Demokratie und Menschlichkeit zu leben, so ist es hier – in diesem Saal – unsere Aufgabe, sie
möglich zu machen.
Der Platz hier drin, auf den jeder von uns, durch die Bürger Leipzigs gestellt wurde – er bleibt leer,
wenn wir ihn nicht einnehmen.
Diesen Platz kann kein anderer Bürger Leipzigs für einen von uns ausfüllen.
Keiner erhebt an unserer Statt seine Stimme, keiner setzt hier an unserer Statt ein Zeichen für
Demokratie.
Wenn wir hier nicht stehen, dann ist der Saal leer, die Anträge in der Warteschlange – die
Demokratie im Ruhezustand.
Beim 2. Donnerstagsdiskurs unserer Universität wurde der Oberbürgermeister gefragt, was
Politiker tun können um die die Leute (wieder) ins Boot zu holen, die frustriert, enttäuscht oder
verunsichert sind und dadurch vielleicht Gefahr laufen von Extremisten vereinnahmt zu werden.
Er sagte: „Haltung zeigen & unsere Arbeit machen“.
Diejenigen von Ihnen, die für die Abbrechung gestimmt haben und demonstrieren gegangen sind,
haben (eine) Haltung gezeigt, aber Sie haben Ihre Arbeit nicht gemacht.
Hätten Sie sie gemacht, wäre Frau Kador-Probst als zuständige Amtsleiterin für das
Asylbewerberheim nach der Sitzung nicht vollkommen fassungs- & ratlos hinausgegangen.
Hätten Sie uns alle unsere Arbeit machen lassen, hätte sie nicht einen Monat auf diese so
dringende Entscheidung warten müssen, die wir jetzt treffen!
Heute nannten Sie, Frau Krefft, die Stadträte, die letzten Monat gegen die Abbrechung gestimmt
haben, „braune Abgase“.
Als neue Stadträtin kenne ich Sie nur flüchtig, doch das meiste, was ich von Ihnen bisher gehört
habe, war unverschämt und ein sehr schlechtes Beispiel für einen vorurteilsfreien, zielorientierten
Umgang miteinander.
Wenn Sie in Zukunft so undifferenziert alle Meinungen, die der Ihren nicht entsprechen, in „den
rechten Topf“ werfen, dann brauchen Sie uns bei der nächsten Haushaltsdebatte nicht wieder
vorzujammern, dass ihre Positionen „abgebügelt“ werden.
Frau Nagel, Sie reden von „menschenunwürdiger Massenunterkunft“, doch Ihre Menschlichkeit,
die Ihnen dieser Situation Abhilfe zu schaffen geheißt, die stellen Sie hinter Ihrem
Demonstrationsrecht an.
Ebenso wie Ihre Verpflichtung der demokratischen Grundordnung gegenüber, die brach liegt,
während Sie demonstrieren statt zu regieren.
Es mag vielleicht nicht in jedermanns Selbst- und Weltbild passen, doch die Pflicht, die Leipzigs
Bürger einem jeden von uns übertragen haben, sie ist wichtiger als unser Demonstrationsrecht als
Privatperson.
Ich bitte Sie alle über die Sanierung des Asylbewerberheims in der Torgauer Straße so
abzustimmen, dass baldige Abhilfe geschaffen werden kann.
Dazu ist es leider auch notwendig, sich zu fragen, ob es realistisch ist, dass Frau Kador-Probst &
ihr Team es schaffen die große Anzahl an Menschen, die momentan bei uns Asyl suchen, zeitnah
dezentral unterzubringen, so wie es beschlossen wurde.
Oder ob wir, durch das Verharren auf unseren Wünschen & Prinzipien die Situation nicht gar noch
verschlimmern.
Noch sagen wir Massenunterkunft zu einem „Gebäude industrieller Bauweise“.
Wie werden wir eine Zeltstadt nennen oder unseren Schülern die belegten Turnhallen erklären,
wenn wir blind einem Wunschtraum nachgejagt sind statt „Haltung zu zeigen & unsere Arbeit zu
machen“?