Rede des CDU-Fraktionsvorsitzenden, Frank Tornau in der Ratsversammlung am 17.11.2016

(es gilt das gesprochene Wort)
Ich möchte diese Haushaltsrede nicht nutzen, um über Ergebnishaushalt und Schlüsselzuweisungen, Kreditaufnahme oder Finanzausgleichsgesetze zu reden. Ich möchte auch nicht darüber reden, wie gut die Anträge der CDU-Fraktion und wie schlecht vielleicht die Anträge aller anderen Fraktionen sind.
Am Ende interessieren unsere ganzen finanztechnischen Fachbegriffe die Bürger bestimmt wenig. Auch die alljährlichen Schuldzuweisungen, wer wem welches Geld eigentlich geben, weiterreichen oder nicht entziehen darf, gehen an der Lebenswirklichkeit der Menschen weitgehend vorbei.
Die Bürger interessieren sich stattdessen für Dinge, mit denen Sie alltäglich konfrontiert werden. Ich denke, es ist unsere Aufgabe, über das zu sprechen, was die Leipziger tatsächlich bewegt.
Wenn wir das nämlich nicht tun, sondern uns nur im Erfolg sonnen, uns beispielsweise für die beste Einnahmesituation aller Zeiten selbst loben und tolle wirtschaftliche Entwicklungen beschwören, dann reden wir an den Menschen vorbei.
Leipzig wächst, das wird uns immer wieder gesagt und wir spüren es auch selbst täglich. Ich habe mir im Vorfeld dieser Haushaltsrede mal die Mühe gemacht und ein paar Zahlen zusammengetragen. Diese finden sie im LIS-Leipzig-Informationssystem, falls sie diese nachschlagen möchten.
Wir finden dort statistische Zahlen und müssen zum Beispiel feststellen, dass die von den Grünen versprochene Klimaerwärmung zumindest in Leipzig auf sich warten lässt. Gab es 2000 nur 46 Frosttage mit unter 0 Grad Celsius, so waren es im Jahr 2015 genau 65.
Wir erhalten aber auch für uns wichtigere Zahlen:
Unsere Stadt ist seit dem Jahr 2000 um fast 20% gewachsen, von knapp 480.000 auf heute 570.000 Einwohner.
Waren wir, war die Stadtverwaltung eigentlich auf diese Entwicklung vorbereitet?
Ich denke nein.
Und haben wir, hat die Stadtverwaltung wenigstens einigermaßen zeitnah auf diese Entwicklung reagiert?
Die Reaktion der Stadtverwaltung auf das Wachstum in Leipzig in den letzten Jahren sah wie folgt aus: Im Jahr 2000 wurden im Neubaubereich 1.884 Baugenehmigungen erteilt, im Jahre 2015 waren es noch 902.
Man hat den Eindruck, im Baudezernat wird nur noch halbtags gearbeitet. Wir haben jedenfalls keine Anhaltspunkte, dass sich die Stellenzahl halbiert hätte.
Das Ergebnis dieser Bilanz bei der Erteilung von Baugenehmigungen ist dann auch bei den Baufertigstellungen spürbar: Im Jahr 2000 wurden 2.090 neue Wohnungen fertiggestellt, 2015 waren es nur noch 999.
In diesem Tempo darf es nicht weitergehen. Frau Dubrau, es ist hochgradig unseriös, über Gentrifizierung, die Gefahr steigender Mieten und Verteuerung des Wohnens zu schwadronieren, andererseits aber von Amts wegen den Neubau zu behindern, weil er vielleicht nicht ganz den eigenen Vorstellungen entspricht.
Wenn es zu Mietpreisexplosionen in Leipzig kommt, geht das auf ihr Konto!
Nach meiner Kenntnis mangelt es in Leipzig nicht an bauwilligen Investoren und Mietern. Woran es aber mangelt, ist eine „Willkommenskultur“ im Rathaus.
Eine Willkommenskultur, die dem Bauherren nicht mit einem misstrauischen „Der will nur Geld verdienen“ begegnet, sondern die ihn unterstützt.
Eine Willkommenskultur, die Wege zeigt, wie etwas geht und die nicht behindert und verhindert.
Wir brauchen neue Wohnungen für die Menschen, die nach Leipzig kommen. Und diese Wohnungen kann nicht die kommunale Wohnungsgesellschaft alleine bauen.
Und wir sollten endlich zur Kenntnis nehmen, dass nicht alle Leipziger Neubürger unbedingt in den Straßenschluchten neugebauter citynaher Wohnquartiere leben möchten, sondern manche vielleicht lieber ihre Kinder in einem Einfamilienhaus am Stadtrand aufwachsen sehen wollen.
Vielleicht winkt Ihnen, Frau Dubrau demnächst die Ehrenbürgerschaft in Eilenburg oder Borna. Wie man hört, orientieren sich viele bauwillige junge Familien mehr und mehr in diese Städte, weil in Leipzig zu wenig getan wird.
Ehrlicherweise muss man aber auch sagen: Auch hier im Stadtrat hat man oft den Eindruck, dass der Häuslebauer viel weniger Zuwendung erfährt, als der Wagenplatzbewohner.
Derartige politische Prioritätensetzungen sind die falschen Antwort auf die Herausforderungen einer wachsenden Stadt.
Bleiben wir im Zuständigkeitsbereich des Baudezernats:
Der Bestand an Kfz ist gewachsen, von 216.000 im Jahr 2000 auf 245.000 im Jahr 2015. Die Reaktion auf diese Vergrößerung des Kfz-Bestandes war die Abschaffung von PKW-Stellplätzen und die exzessive und willkürliche Installation von Fahrradbügeln.
Ich denke, dass ist die falsche Reaktion. Frau Dubrau, es gibt Menschen, die auf den PKW angewiesen sind.
Die CDU-Fraktion glaubt nicht, dass sich der Öffentliche Nahverkehr und der Individualverkehr einer Dreiviertelmillionenstadt Leipzig künftig noch auf einer Ebene abwickeln lassen wird. Es wäre sehr gut für Leipzig, wenn sich die Führungsspitze des Planungsdezernates aus dem ideologischen Gefängnis befreit. Ich freue mich, dass sich der Kollege Rosenthal, wie ich hörte schon positiv zu Tunnellösungen geäußert hat.
Kommen wir zu einem weiteren Problem in der Stadtverwaltung, zum Dezernat Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule.
Die Schulklassen sind überfüllt, Kitaplätze seit Jahren Mangelware.
Wir hatten im Jahr 2001 10.500 Schüler an Grundschulen in Leipzig, heute haben wir 18.000. Offenbar kam das fürs Schuldezernat ebenso überraschend, wie die alljährliche Bescherung am Heiligabend. Wir haben stadtratsseitig bereits einiges getan, jede Menge Beschlüsse zum Neubau von Schulen und Kitas gefasst und laufen trotzdem der Entwicklung hinterher. Die Haushaltsausgabereste zeigen das deutlich.
Die CDU-Fraktion erwartet von der Verwaltung, dass endlich kreative neue Wege gegangen werden. Wenn die Stadtverwaltung den Bau von Kitas und Schulen nicht selbst umgesetzt bekommt, obwohl Geld zur Verfügung steht, muss man sich eben der privaten Wirtschaft bedienen.
Was mich aber noch mehr ärgert als die Verzögerungen bei Kita- und Schulbau, ist die Lethargie bei der Bewältigung des Tagesgeschäfts. Neben den Bürgereinwänden zeigen das die unzähligen Gespräche mit den Lehrern, Eltern und Schülern in dieser Stadt, die viele von uns Ratskollegen führen. Welcher Eindruck muss entstehen, wenn es erst umfangreicher verwaltungsinterner Abstimmungen bedarf, um eine Schultoilette zu sanieren?
Ganz nach oben wollen wir dagegen bei den Elternbeiträgen für Krippe, Kindergarten und Hort. Dabei hilft uns kein sozialpolitischer Überbietungswettkampf hier im Rat. Was uns hilft, ist Ehrlichkeit und Offenheit in der Debatte. Denn wenn die Elternbeiträge eingefroren werden, dann werden wir an anderer Stelle Steuermittel streichen müssen. Und auch wenn meiner Fraktion sehr viel einfallen würde, was an fragwürdigen Projekten gestrichen werden könnte, dann müssen sich heute Linkspartei und AfD fragen, wo sie den Rotstift ansetzen wollen.
Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln hat im August diesen Jahres einen Bericht zur regionalen Armutsverteilung in Deutschland vorgelegt.
Auf einer Grafik, einer Deutschlandkarte ist unsere Stadt ein roter Fleck. Und zwar der einzige im ganzen mitteldeutschen Raum.
Leipzig ist Spitzenreiter, und zwar bei der relativen Kaufkraftarmut:
23% der Leipziger haben ein Einkommen von weniger als 60 Prozent des regional preisbereinigten deutschen Medianeinkommens. Dieser Wert wird im gesamten Osten nur noch von Vorpommern übertroffen.
Oder einfach gesagt: In Leipzig haben die Menschen am wenigsten im Portemonnaie.
Dieses Problem lösen wir nicht durch umfangreiche Debatten über Akteursbeteiligung, Smart City, Verdichtung, Großstadtphänomene oder Fahrradbügeln.
Dies lösen wir durch wirtschaftsfreundliche Politik, für Unternehmer und Arbeiter, Konzerne und Mittelstand, Gründer wie Etablierte.
Kommen wir zur Kultur:
Leipzig wächst, unsere städtischen Kulturausgaben wachsen auch, wie wir alle wissen.
Aber wie ist es mit der Zielgruppe, an die sich unsere kommunalen Kulturangebote richten?
Die Zahl der Gewandhausbesucher ist von 183.000 im Jahr 2001 auf 256.000 im Jahr 2015 gestiegen. Das sind 40% mehr.
Gewachsen sind auch die Besucherzahlen des Theaters der Jungen Welt von 35.000 in 2001 auf 56.000 in 2015. Das sind 60%.
Die Zahl der Opernbesucher blieb weitgehend gleich.
Währenddessen ging die Zahl der Schauspielbesuche sogar zurück, von 77.000 in 2001 auf 62.000 im Jahr 2015.
Wie sich die Zuschüsse für die einzelnen Häuser in den Jahren entwickelt haben, wissen sie selbst. Ich könnte jedenfalls durchaus verstehen, wenn sich angesichts dieser Zahlen TdJW und Gewandhaus schlecht behandelt fühlen.
Ich möchte gar nicht wissen, wie es mit den Besucherzahlen bei Oper und Schauspiel aussähe, würde Leipzig nicht wachsen.
Aber ich will hier keine kulturpolitische Debatte führen.
Fest steht, dass die Zahl der Mitglieder in Sportvereinen deutlich größer ist, als die der Schauspielbesucher. Sie ist von 61.000 in 2001 auf 94.000 in 2015 gestiegen. Dass sich das in keiner Weise auch nur annähernd im Haushalt widerspiegelt, ist bedauerlich und sollte uns zu denken geben.
Und meine Damen und Herren, glauben Sie eines nicht. Mit der Verabschiedung der Rahmenvereinbarung zur Kultur haben Sie, Herr Oberbürgermeister, und Sie, Frau Dr. Jennicke, gewiss einen Sieg errungen. Aber die Probleme bleiben. Wenn Sie sich nicht trauen, über Strukturveränderungen nachzudenken, wird sie die Entwicklung einholen. Und dann stehen wir hier nicht mehr vor der Frage, wie viel wir bezuschussen, sondern welchen Betrieb wir schließen werden.
In Leipzig wächst auch die Kriminalität. Wie uns die Statistik sagt, wächst die Zahl der Straftaten zwar absolut, aber nicht relativ. Die Zahl der Straftaten je 1.000 Einwohner ändert sich seit Jahren nur unwesentlich.
Die gefühlte Situation ist jedoch eine andere.
Ich treffe immer mehr Menschen, die Angst haben.
Angst, mit bestimmten Straßenbahnlinien zu fahren, Angst, bestimmte Stadtgebiete zu betreten.
Ich glaube, wir müssen als Stadt unsere Aufgaben als Kreispolizeibehörde stärker wahrnehmen. Und zwar rund um die Uhr. Und das dafür notwendige zusätzliche Personal muss eben bezahlt werden. Es darf doch nicht sein, dass die Leipziger sich bei mitternächtlicher Ruhestörung an den Polizeivollzugsdienst wenden müssen.
Und, Herr Oberbürgermeister, wir sollten darüber nachdenken, ob wir uns nicht von der Bezeichnung „Stadtordnungsdienst“ verabschieden. Es geht nicht nur um „Ordnung“, wir müssen und können als Kreispolizeibehörde auch polizeiliche Aufgaben erfüllen. Und wir sollten das auch laut sagen. Bei dem Begriff „Stadtordnungsdienst“ hat man ja manchmal den Eindruck, es ginge um das Aufsammeln von Papier in Parkanlagen. Und auch hier sage ich es wieder: Allein mit Sonntagsreden und betroffenen Mienen, werden wir nix ändern. Der Staat muss Recht auch durchsetzen!
Lassen Sie mich zum Ende kommen.
Die Steuereinnahmen unserer Stadt sind netto von 188,3 Mio. in 2001 auf 500 Mio. in 2015 gestiegen.
Wir haben kein Einnahmenproblem, sondern ein Ausgabenproblem und ein Problem mit der Prioritätensetzung der vergangenen Jahre.
Und Leipzig wächst unverdrossen weiter.
Betrachtet man all diese Zahlen, stellen sich einige Fragen:
• Geben wir mit diesem Doppelhaushalt die richtigen Antworten auf die Entwicklungen der letzten Jahre?
• Und viel wichtiger: geben wir die richtigen Antworten für die Zukunft?
Unsere Antwort lautet: Nein.
Herr Oberbürgermeister, dieser Haushalt schreibt nur fort, verwaltet nur. Er ist mutlos.
Wir werden das bis zur Beschlussfassung nicht geraderücken können. Wir sind ehrenamtliche Stadträte. Wir sollen die Verwaltung kontrollieren und legen die Grundsätze für die Verwaltung fest.
Ich kann ihnen nur sagen, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, bringen sie ihre Verwaltung dazu, dass sie mit dem Wachstum der Stadt Schritt hält. Dann ist uns allen geholfen.
Wir sind in der Verantwortung, den Menschen in dieser Stadt zu dienen und Ihre Bedürfnisse wahrzunehmen. Die CDU-Fraktion unterstützt alles, was einer positiven Entwicklung dient und sie nicht bremst.
Vielen Dank!