Stadtrat Andreas Faulhaber in der Ratsversammlung am 14. Dezember 2016
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Beigeordnete, Mandatsträger und Gäste
Die Straßen einer Stadt sind Adern pulsierenden Lebens. Sie durchweben eine urbane Siedlung. Geben ihr Gesicht.
Die Straßennamen lesen sich dabei wie Charaktermerkmale dieser Siedlung und der darin wohnenden Menschen. Sie geben Auskunft über Geschichte und Zeitgeist.
Meine Fraktion hat nun in der aktuellen Vorlage die Straßenbenennungen in unserer Stadt erneut in den Blick genommen. Dabei greift Sie einen Verwaltungsstandpunkt aus dem Jahre 2003 auf, in dem es unter Bezug auf die Würdigung der Ereignisse um den 17.Juni in Leipzig heißt:
„dass keine Straßenbenennungen nach einzelnen Opfern des Volksaufstandes vorgenommen werden, da es auf der Grundlage der vorliegenden wissenschaftlichen Forschungsergebnisse zu den Ereignissen
am 17.Juni 1953 und mangels ausreichender biographischer Angaben nicht gerechtfertigt ist, einzelne Personen herauszuheben.“
Anzumerken ist an dieser Stelle, dass es inzwischen durchaus weitere Straßenbenennungen zum genannten Themenkreis in unserer Stadt gab.
Seit 2003 —– drei!
Unser Antrag nun möchte die Verwaltung beauftragen, ein Konzept zu erarbeiten wie der genannte Themenkreis künftig stärker Berücksichtigung finden wird. So könnten Straßen in einem neu entstehenden städtischen Quartier damit etwa ein bestimmtes Gesicht geben. Gleichsam eine thematische Klammer bilden. Es geht uns um ein Konzept für eine systematische und planvolle Entwicklung.
Wir meinen, dass u.a. mit dem Bürgerkomitee Leipzig, dem Bund stalinistisch Verfolgter, dem Archiv Bürgerbewegung Leipzig, dem Zeitgeschichtlichen Forum und nicht zuletzt interessierten Schulen eine ganze Reihe von Partnern für eine Zusammenarbeit zu sehen wären.
Im übrigen hat sich der Forschungsstand mit jedem Jahr verbreitert und ist keineswegs als unzureichend einzuschätzen.
So legten etwa Rainer Behring und Mike Schmeitzner im Böhlau Verlag bereits 2003 Studien zur Diktaturdurchsetzung in Sachsen zwischen 1945 – 1952 vor. Hier findet sich etwa ein Aufsatz (sehen Sie mir das Bitte nach) zum Christdemokraten Hugo Hickmann. Einer spannenden Persönlichkeit in dessen Leben und politischem Wirken sich unsere Geschichte der Weimarer Zeit über die Herrschaft der Nationalsozialisten bis zur kommunistischen Diktatur spiegelt…
Anlässlich des 1000jährigen Stadtjubiläums erscheint in kürze der von Professor von Hehl betreute 4.Band unserer Stadtgeschichte auch mit Beiträgen zu genanntem Themenkreis.
Die Aufzählung ließe sich fortsetzen.
Es ist hier nicht der Zeitpunkt um weitere konkrete Benennungsvorschläge zu unterbreiten oder gar einen Forschungsüberblick zu entwickeln.
Von einem Mangel an systematischen Erkenntnissen kann aber heute, über 25 Jahre nach dem Ende der roten Diktatur nicht mehr die Rede sein!
Und doch heißt es im Verwaltungsstandpunkt zu unserem Antrag im Jahre 2016 erneut: Der derzeitige Forschungsstand zum Themenkreis Opposition, Widerstand und Zivilcourage in der DDR reiche nicht aus um weitere Straßen diesem Themenkreis zu widmen.
Bedenken wir auch, dass wir zu den Generationen gehören, die ein Interesse an der Erinnerung an diesen Teil unserer Geschichte aus eigenem Erleben heraus noch glaubhaft vortragen können!
Und ja, es geht für manchen Zeitzeugen vielleicht auch um Genugtuung…
Niemand muss nun wohl fürchten, dass Straßenbenennungen dabei durch Umbenennungen Vertrautes beseitigen oder Erinnerung tilgen würden.
Wir werden in den kommenden Jahren vielmehr bedingt durch umfangreiche Bebauungen hinreichend Benennungsanlässe finden, ja entsprechende konzeptionelle Vorüberlegungen dringend benötigen.
Setzen wir dabei bitte nicht mehr auf die zwar gänzlich unverdächtigen aber kultur- bzw. stadtgeschichtlich neutralen Piepmätze oder Lieblingspflanzen.
Es sind vor allem Flurnamen und Persönlichkeiten die unserer Stadt unverwechselbaren Charakter geben.
Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass weitere Straßennamen eingewoben werden in unser städtisches Erinnerungsnetz.
Lassen Sie uns mit der Verwaltung einen wesentlichen Charakterzug unserer Stadt sichtbar machen:
Das Bekenntnis der Menschen zu Freiheit und Selbstbestimmung und der Mut ihrer Bürger dafür persönlich einzutreten.
Erweisen wir ihnen und uns damit gerade heute die verdiente Ehre.
Stimmen sie unserem Antrag zu.
Danke!